„Kürzlich hörte ich einen evangelischen Theologen sagen: ‚Gottes Wort im eigentlichen Sinne ist nach dem Zeugnis der Bibel Jesus Christus. Deshalb glaube ich nicht an das Neue Testament, sondern ich glaube an Jesus Christus.‘ Diese Formulierung scheint heute vielerorts als theologisch und gesellschaftlich korrekt zu gelten. Doch stellt sich mir die Frage: Ist sie auch biblisch korrekt? Muss man wirklich so differenzieren, um dem biblischen Befund gerecht zu werden? Oder darf ich nicht ebenso sagen: ‚Ich glaube an Gottes Wort‘ – und dabei sowohl Jesus Christus als auch die Heilige Schrift meinen? Denn wenn Paulus in Apostelgeschichte 24,14 bekennt: ‚Ich glaube allem, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht‘, dann zeigt sich darin ein tiefes Vertrauen in die schriftlich überlieferte Offenbarung Gottes. Und auch Jesus selbst spricht in Johannes 5,39 davon, dass die Schrift von ihm zeugt: “Ihr forscht doch in den Heiligen Schriften und seid überzeugt, in ihnen das ewige Leben zu finden – und gerade sie weisen auf mich hin.” (Gute Nachricht Bibel)
Jesus Christus als das fleischgewordene Wort (Joh 1,1–14) und die Schrift als das gezeugte Wort, das von ihm spricht – beides gehört untrennbar zusammen. Wer Christus glaubt, wird auch der Schrift glauben, und wer der Schrift glaubt, wird zu Christus geführt.
Wer sagt, er glaube nicht an die Bibel, sondern an Jesus Christus, kann damit sehr Verschiedenes meinen – von einer tiefen Christuszentriertheit bis hin zu einer bewussten Abwertung der Schrift. Manche dieser Aussagen stehen durchaus im Einklang mit der Bibel, andere hingegen widersprechen ihrem Zeugnis klar. Umgekehrt kann auch die Aussage „Ich glaube an die Bibel“ problematisch sein, wenn sie die Schrift zu einem Selbstzweck erhebt und Christus als Mitte aus dem Blick verliert. Doch während die Warnung vor einem überhöhten Bibelglauben heute weit verbreitet ist, begegnet mir die tatsächliche Gefahr einer solchen Haltung nur selten. Viel häufiger scheint mir, dass das Schiff der gegenwärtigen Theologie bereits gefährlich zur anderen Seite neigt – dass man vor einer Schlagseite nach Backbord warnt, während es längst nach Steuerbord kippt. Es ist eine paradoxe und irreführende Warnung: Sie mahnt den Maßlosen zur Mäßigung, während der Maßvolle längst hungert; sie warnt den Geizigen vor Verschwendung, während der Verschwender kaum noch Maß kennt; sie ruft dem Überarbeiteten zur Ruhe, während der Träge sich längst eingerichtet hat. Solche Warnungen treffen nicht die Realität, sondern spiegeln eine Schieflage wider, die selbst zur Gefahr wird.
Betrachten wir die verschiedenen Haltungen im Einzelnen!
1. Warnung: Buch als Gott
Manche sehen in der Aussage „Ich glaube an die Bibel“ die Gefahr, dass das Buch selbst – mit Einband und Seiten – zum Objekt der Verehrung wird, als wäre es Gott selbst. In dieser Sichtweise wird die Bibel nicht mehr als Zeugnis von Gottes Offenbarung verstanden, sondern als magischer Gegenstand, dem übernatürliche Kräfte innewohnen. Es gibt Berichte, etwa aus dem russisch-orthodoxen Raum, dass Gläubige Bibelverse auf Zettel schrieben und diese ihren Söhnen in die Uniform einnähten, in der Hoffnung, sie würden vor feindlichen Kugeln schützen. In ihrer Zuspitzung könnte man sagen: Wer Jeremia 15,16 liest – „Dein Wort ward meine Speise“ – und daraus folgert, er müsse seine Bibel buchstäblich essen, hat die geistliche Dimension des Wortes Gottes missverstanden.
Diese Form der Buchverehrung ist in anderen Religionen verbreiteter. Im Islam etwa gilt der Koran nicht nur inhaltlich, sondern auch materiell als heilig. Die arabische Schrift selbst wird als sakral angesehen, und eine Übersetzung gilt nicht mehr als echter Koran. Viele Muslime können den Koran daher nicht wirklich lesen, weil sie des Arabischen nicht mächtig sind – und dennoch verehren sie das Buch als solches. Für sie ist es unvorstellbar, dass ein Christ seine Bibel auf den Boden legt oder auf einen Stuhl – solche Gesten erscheinen als Missachtung der Heiligkeit. Auch im Judentum findet sich eine vergleichbare Haltung gegenüber der Torah: Die Torahrolle wird in einem eigenen Schrein aufbewahrt, oft in einem besonders gestalteten Raum der Synagoge, der fast wie ein kleines Heiligtum wirkt.
Diese Beispiele zeigen, wie unterschiedlich das Verhältnis zum heiligen Text sein kann – und wie wichtig es ist, zwischen der Verehrung des Inhalts und der Anbetung des Gegenstands zu unterscheiden. Der christliche Glaube sieht in der Bibel nicht ein magisches Buch, sondern das lebendige Zeugnis von Gottes Reden, das auf Jesus Christus verweist – das fleischgewordene Wort.
Auch wenn Bibeln mit Goldschnitt und kunstvoller Prägung auf dem Einband in vielen Kirchen ehrfürchtig auf dem Altar liegen, hat sich im christlichen Glauben nie eine buchzentrierte Verehrung etabliert, wie sie in anderen Religionen zu beobachten ist. Die Vorstellung, Christen könnten die Bibel anstelle von Jesus Christus verehren oder sie gar zu einem Ersatzgott machen, entspricht weder der gelebten Praxis noch der theologischen Überzeugung der Kirche. Vielmehr war und ist es ein grundlegender Konsens, dass die Heilige Schrift Gottes Wort ist – nicht in einem magischen oder materiellen Sinn, sondern als geistgewirktes Zeugnis seiner Offenbarung.
Gott selbst ist ihr Urheber, er verbürgt sich für ihren Inhalt. Die Bibel ist nicht Gott, aber sie ist das Mittel, durch das Gott sich mitteilt.
In ihr begegnen wir dem lebendigen Christus, der selbst das fleischgewordene Wort ist, wie es im Johannesevangelium heißt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ (Johannes 1,1). Wer die Heilige Schrift liest, begegnet nicht einem Buch, sondern dem lebendigen Gott, der durch sein Wort spricht, wirkt und verwandelt.
Wenn im christlichen Kontext von der „Heiligen Schrift“ gesprochen wird, ist damit nicht das physische Buch gemeint – nicht Papier, Einband oder Goldschnitt –, sondern der geistliche Gehalt, der in den Worten der Bibel lebendig wird. Die Heiligkeit bezieht sich auf den Inhalt, weil dieser den Menschen zu Jesus Christus führt, dem fleischgewordenen Wort Gottes. Der Glaube eines Christen richtet sich nicht auf das Buch als Objekt, sondern auf das Zeugnis, das es von Gottes Wirken und Wesen gibt. Auch die Bibel selbst spricht von den „Heiligen Schriften“ stets in Bezug auf ihren geistlichen Gehalt, nicht auf ihre materielle Form.
Ein eindrückliches Beispiel für die Fehlinterpretation einer solchen Heiligkeit findet sich in 1. Samuel 4,1–11. Dort wird die Bundeslade – in der sich die von Gott beschriebenen Steintafeln befinden – von den Israeliten in den Krieg getragen, in der Hoffnung, dass ihre bloße Anwesenheit den Sieg bringt. Doch die Lade wird geraubt, und Israel erleidet eine Niederlage. Diese Erzählung kann als Kritik an einer magischen Vorstellung verstanden werden, die meint, der Segen Gottes sei an das physische Vorhandensein heiliger Gegenstände gebunden – statt an das Hören, Glauben und Tun seines Wortes. Die Heilige Schrift ist heilig, weil sie Gottes Stimme trägt, nicht weil sie als Buch eine übernatürliche Kraft besäße. Wer sie liest mit offenem Herzen, begegnet dem lebendigen Gott – nicht einem magischen Artefakt.
2. Warnung: Bibel ohne Jesus
Es gibt berechtigte Stimmen, die davor warnen, dass der Satz „Ich glaube an die Bibel“ missverstanden werden kann. Wer ihn unreflektiert verwendet, läuft Gefahr, jeder einzelnen Aussage der Schrift dieselbe Autorität beizumessen – ohne die innere Struktur, die heilsgeschichtliche Entwicklung und die zentrale Botschaft der Bibel zu berücksichtigen. So könnte etwa das Sabbatgebot oder die alttestamentlichen Reinheitsvorschriften als ebenso verbindlich angesehen werden wie der Ruf des Neuen Testaments, an Jesus Christus zu glauben. Doch die bloße Berufung auf den Wortlaut – „Es steht doch in der Bibel“ – reicht nicht aus, um eine christliche Praxis zu begründen. Denn nicht alles, was in der Bibel steht, ist für Christen in gleicher Weise normativ.
Diese Spannung ist kein modernes Phänomen, sondern bereits im Neuen Testament sichtbar. Paulus etwa bekennt sich zu allem, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht – und doch predigt er nicht die Beschneidung, die Einhaltung kultischer Feiertage oder die Opferpraxis des alten Bundes. Stattdessen verkündet er Christus, weil er erkannt hat, dass das Gesetz und die Propheten letztlich auf ihn hinweisen. In Jesus Christus sieht Paulus die Erfüllung jener Schriften, nicht ihre bloße Wiederholung. Die Bibel ist also nicht ein gleichförmiges Regelwerk, sondern ein vielstimmiges Zeugnis, das auf das eine Wort Gottes in Christus zuläuft. Wer das erkennt, liest die Schrift nicht flach, sondern im Licht ihrer Mitte.
Das angesprochene Problem ist keineswegs theoretisch, sondern betrifft gerade jene, die die Bibel mit besonderem Ernst lesen und ihr Leben danach ausrichten wollen. Es ist daher entscheidend, wie man einem verbreiteten Missverständnis begegnet: der Vorstellung, man müsse sich zwischen dem Glauben an Christus und dem Vertrauen in die Bibel entscheiden. Wer sagt, man solle „an Christus glauben und nicht an die Bibel“, läuft Gefahr, eine künstliche Trennung zu erzeugen, die dem Wesen der Schrift und dem Zeugnis des Glaubens nicht gerecht wird. Denn Christus und die Bibel stehen nicht in Konkurrenz zueinander – vielmehr ist die Bibel das Zeugnis von Christus, und Christus selbst ist das lebendige Wort, das die Schrift erfüllt und auslegt.
Weder Jesus noch Paulus haben die Autorität der Heiligen Schrift relativiert, um Christus hervorzuheben. Im Gegenteil: Sie haben die Schrift als Gottes Wort ernst genommen und zugleich gezeigt, dass ihre tiefste Wahrheit in Christus zur Erfüllung kommt. Paulus etwa predigt Christus aus dem Gesetz und den Propheten, weil er darin die Verheißung und Vorbereitung auf das Evangelium erkennt. Auch Jesus selbst hat die Schrift nicht verworfen, sondern sie ausgelegt und in seinem Leben und Wirken zur Vollendung gebracht. Deshalb ist es nicht angemessen, einen Gegensatz zwischen Bibel und Christus zu konstruieren.
Wer Christus glaubt, wird auch der Heiligen Schrift glauben – und wer die Heilige Schrift recht versteht, wird zu Christus geführt. Der Glaube lebt von dieser Einheit, nicht von ihrer Trennung.
Jesus selbst hat sich bewusst unter die Autorität der Heiligen Schrift gestellt. In Johannes 5,39 bezeugt er: „Sie ist es, die von mir zeugt.“ Damit macht er deutlich, dass die Heilige Schrift nicht nur ein historisches Dokument ist, sondern ein lebendiges Zeugnis, das auf ihn hinweist. Obwohl er als Sohn Gottes direkt vom Vater gekommen ist und ihn allein kennt, hätte er durchaus die Möglichkeit gehabt, sich über die Schrift zu stellen oder sie beiseitezuschieben. Doch genau das tat er nicht. Stattdessen bestätigte und erfüllte er ihre Autorität, indem er sie im Sinne Gottes auslegte.
Die Bibel, die zu seiner Zeit ausschließlich das Alte Testament umfasste, wurde von Jesus nicht relativiert, sondern in ihrer tiefsten Bedeutung erschlossen. Er las sie nicht als starres Gesetzbuch, sondern als prophetisches Zeugnis, das Gottes Heilsplan offenbart. In seinem Leben, seinem Wirken und seinem Opfer brachte er zur Vollendung, was die Schrift verheißen hatte. Damit zeigt Jesus, dass wahre Autorität nicht darin liegt, sich über die Schrift zu erheben, sondern sie im Licht Gottes zu verstehen und zu leben. Seine Haltung zur Schrift ist ein Vorbild für alle, die glauben: nicht ein distanzierter Umgang, sondern ein tiefes Vertrauen in das Wort, das von ihm spricht.
Auch Paulus hat in seiner Verkündigung keinen Gegensatz zwischen Christus und der Heiligen Schrift konstruiert. Als er schreibt: „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1.Korinther 3,11), meint er damit nicht, dass die Schrift als Fundament des Glaubens abgelöst sei. Im Gegenteil: Er betont ausdrücklich, dass das Evangelium, das er verkündet, „nach der Schrift“ ist (1.Korinther 15,3). Für Paulus ist Christus nicht der Ersatz der Schrift, sondern ihre Erfüllung und Auslegung. Die Schrift bleibt das tragende Fundament, weil sie auf Christus hinweist und in ihm ihre tiefste Wahrheit offenbart.
Auch die anderen Apostel begegnen der Schrift mit großer Ehrfurcht. In ihren Briefen berufen sie sich immer wieder auf die alttestamentlichen Texte, um ihre Botschaft zu begründen. Obwohl sie Jesus selbst gehört und erlebt haben, stellt keiner von ihnen die Worte Jesu über die Schrift in dem Sinne, dass frühere Offenbarungen dadurch entwertet würden. Es gibt keinen Hinweis auf eine Rangordnung, wie sie heute manchmal behauptet wird – etwa, dass Jesu Worte mehr Autorität hätten als das übrige Wort Gottes im Gesetz und in den Propheten. Vielmehr geht es durchweg um das rechte Verständnis der Schrift. Und dafür ist Christus der Schlüssel: Er ist das Licht, in dem die Schrift gelesen und verstanden werden muss. Wer die Bibel im Geist des Evangeliums auslegt, erkennt ihre Einheit und Tiefe – nicht als Sammlung isolierter Gebote, sondern als zusammenhängendes Zeugnis von Gottes Heilswerk in der Geschichte.
Jesus ehren, indem man die Bibel abwertet?
Der Satz „Ich glaube nicht an die Bibel, ich glaube an Jesus Christus“ wird häufig gebraucht, um die Autorität der Heiligen Schrift scheinbar zugunsten Jesu zu relativieren. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass dieser Gegensatz künstlich ist und fatale theologische Konsequenzen haben kann. Zwar gibt es unterschiedliche Nuancen in der Verwendung dieses Satzes, doch das zugrunde liegende Prinzip bleibt oft dasselbe: Das Evangelium von Jesus Christus wird gegen die Schriftgemäßheit ausgespielt. Dabei wird behauptet, dass die Vergebung, die Jesus schenkt, über einer ethischen Orientierung an biblischen Geboten stehe. Eine biblisch begründete Ethik gilt dann als gesetzlich, als etwas, das Jesus angeblich abgelehnt habe. Manche gehen sogar so weit zu sagen, man müsse mit dem Evangelium gegen die Bibel argumentieren.
Das bedeutet konkret, dass manche versuchen, ethische Aussagen der Bibel – insbesondere aus dem Alten Testament oder den paulinischen Briefen – mit dem Hinweis auf Jesu Liebe und Vergebung zu relativieren oder sogar aufzuheben. Sie stellen das Evangelium als eine Art „Gegengewicht“ zur biblischen Ethik dar, als ob die Botschaft von Gnade und Annahme automatisch jede moralische Orientierung überflüssig mache.
Ein häufig genanntes Beispiel ist der Umgang mit Sexualethik, insbesondere in Bezug auf Ehebruch oder gleichgeschlechtliche Beziehungen. Manche sagen etwa: „Jesus würde heute niemanden verurteilen, der aus Liebe eine neue Beziehung eingeht, auch wenn es formal Ehebruch ist.“ Oder: „Jesus hat niemanden wegen seiner Sexualität ausgeschlossen – deshalb ist es unchristlich, gleichgeschlechtliche Partnerschaften als Sünde zu bezeichnen.“
In solchen Aussagen wird die biblische Ethik – etwa das Gebot der Treue in der Ehe oder die Aussagen zur sexuellen Praxis – als „gesetzlich“ abgetan. Stattdessen wird behauptet, dass die Liebe und Vergebung Jesu diese Gebote überbieten oder sogar ersetzen. Das Evangelium wird dann nicht mehr als Erfüllung der Schrift verstanden, sondern als Korrektiv gegen sie.
Was dabei übersehen wird:
- Jesus hat die Gebote nicht aufgehoben, sondern sie vertieft (vgl. Matthäus 5,17–20). Er spricht etwa vom Ehebruch nicht nur als äußere Tat, sondern auch als innere Haltung.
- Seine Vergebung setzt Umkehr voraus – nicht die Umdeutung von Sünde in Tugend.
- Die Apostel, obwohl sie das Evangelium predigen, berufen sich immer wieder auf die Schrift, um ethische Orientierung zu geben (z. B. Römer 13,8–14; 1.Korinther 6,9–11).
Die Gefahr: Wenn man das Evangelium gegen die Bibel ausspielt, verliert man den Maßstab, an dem Umkehr und Vergebung überhaupt erst Sinn bekommen. Die Liebe Jesu ist nicht beliebig – sie ist heilig, heilend und herausfordernd. Sie hebt nicht Gottes Gebote auf, sondern führt in ihre Tiefe und Wahrheit. Dabei wird übersehen, dass Jesus zwar gekommen ist, um zu retten und nicht zu richten (Lukas 19,10; Johannes 3,17), dass seine Rettung aber stets mit Umkehr verbunden ist.
Die Botschaft des Evangeliums ist nicht, dass Sünde keine Sünde mehr ist, wenn sie mit Liebe oder guter Absicht geschieht, sondern dass jede Schuld vergeben werden kann, wenn der Mensch sich Gott zuwendet und sein Leben neu ausrichtet.
Die Bibel und das Evangelium stehen nicht im Widerspruch zueinander. Vielmehr ist das Evangelium der Schlüssel zum rechten Verständnis der Schrift. Wer Jesus Christus wirklich ehren will, wird auch seine Haltung zur Schrift ernst nehmen – und die war geprägt von tiefem Respekt und der Überzeugung, dass sie Gottes Wort ist, das auf ihn verweist.
Es ist bedenklich, dass zunehmend auch konservativ-evangelikale Lehrer den Satz „Ich glaube nicht an die Bibel, ich glaube an Jesus Christus“ aufgreifen und vertreten. Diese Formulierung mag gut gemeint sein, doch sie ist weder biblisch fundiert noch geeignet, um Herausforderungen im Umgang mit der Heiligen Schrift zu lösen. Vielmehr führt sie zu einer problematischen Trennung zwischen Christus und dem biblischen Zeugnis, das ihn bezeugt. Wer meint, mit diesem Satz die Autorität der Schrift relativieren zu können, um Christus besonders zu ehren, verkennt, dass Jesus selbst die Schrift bestätigt und sich ihr unterstellt hat. Die Bibel ist nicht ein beliebiges Medium, das man hinter sich lassen kann, sobald man Jesus gefunden hat – sie ist das Wort, durch das Christus erkannt und verkündigt wird. Ein Glaube, der sich von der Heiligen Schrift löst, verliert seinen Maßstab und seine Verankerung. Deshalb ist es ein Irrweg, diesen Satz als theologisches Instrument zu verwenden, um Spannungen oder Missverständnisse im Bibelverständnis zu entschärfen. Er verschärft sie vielmehr, indem er die Einheit von Wort und Fleisch, von Schrift und Christus, auflöst.
Die Frage, ob es biblisch ist zu sagen: „Ich glaube an die Bibel“, lässt sich nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten. Vielmehr kommt es darauf an, was mit dieser Aussage gemeint ist. Im positiven Sinn kann man durchaus sagen „Ich glaube an die Bibel“, wenn damit gemeint ist, dass man der Wahrheit aller Aussagen der Heiligen Schrift vertraut, sie nicht anzweifelt oder ihnen widerspricht. Wer glaubt, dass alles, was geschrieben steht, nach Gottes Willen überliefert wurde und somit Gottes Wort an uns ist, bekennt sich zu einem tiefen Vertrauen in die göttliche Autorität der Schrift.
Problematisch wäre die Aussage jedoch, wenn sie so verstanden würde, als sei die Bibel selbst eine göttliche Instanz, eine Art eigenständige Gottheit. Der dreieine Gott spricht durch die Schrift, und sie hat eine gewisse Personhaftigkeit, insofern sie „redet“ und lebendig wirkt. Doch ihre Autorität ist stets abgeleitet – sie ist Gottes Wort, nicht Gott selbst. Die Bibel ist Mittlerin, nicht Ursprung. Deshalb wäre es eine Verirrung, die Schrift selbst zu vergöttlichen.
Allerdings ist eine solche Fehlhaltung in der westlichen Christenheit kaum verbreitet. Die Sorge, jemand könne die Bibel als Gott verehren, erscheint überzogen und wenig realitätsnah. Daher ist es irreführend, wenn immer wieder vor einem angeblichen „Bibelglauben“ gewarnt wird, der Christus verdränge. In der Regel geht es den Gläubigen darum, Gottes Wort ernst zu nehmen – und das ist nicht nur biblisch, sondern auch geistlich gesund.
Das eigentliche Problem liegt heute oft auf der anderen Seite: Immer mehr Christen beginnen, eindeutige Aussagen der Bibel infrage zu stellen. Sie lassen sich von Stimmen leiten, die die Autorität der Heiligen Schrift bewusst relativieren – und das nicht selten unter dem Deckmantel scheinbar frommer oder versöhnlicher Formulierungen. Dabei wird der Eindruck erweckt, als sei es geistlich reif oder besonders barmherzig, wenn man sich von klaren biblischen Maßstäben löst. Doch gerade diese Haltung untergräbt das Vertrauen in Gottes Wort und öffnet Tür und Tor für beliebige Auslegungen, die sich nicht mehr am Text, sondern an persönlichen Empfindungen oder gesellschaftlichen Trends orientieren. Die Folge ist eine Verwässerung des Evangeliums, bei der nicht mehr Christus das Maß ist, sondern das, was Menschen sich von ihm wünschen. Wer Gottes Wort ernst nimmt, wird sich dieser Entwicklung nicht leichtfertig anschließen, sondern mit geistlicher Klarheit und Liebe für die Wahrheit eintreten. Amen.