Die Hei­li­ge Schrift ist Fun­da­ment der Gemein­de Chri­sti!

Römer 1,2: “Die­ses Evan­ge­li­um hat Gott schon im Vor­aus durch sei­ne Pro­phe­ten in hei­li­gen Schrif­ten ange­kün­digt.”

Mit die­ser schlich­ten, aber gewal­ti­gen Aus­sa­ge beginnt Pau­lus sei­ne Aus­le­gung des Evan­ge­li­ums. Es ist nicht neu im Sin­ne einer plötz­li­chen reli­giö­sen Inno­va­ti­on. Es ist alt, uralt – und doch neu in sei­ner Erfül­lung. Es ist Got­tes Evan­ge­li­um, nicht das Pro­dukt mensch­li­cher Suche oder theo­lo­gi­scher Syste­me. Es ist die Geschich­te Got­tes mit der Welt, von Anfang an getra­gen von Ver­hei­ßung, Erwar­tung und Treue. Das Evan­ge­li­um ist nicht ein spä­ter Zusatz zur Geschich­te Isra­els, son­dern ihr Herz­schlag. Die Pro­phe­ten haben es ange­kün­digt, nicht als vage Hoff­nung, son­dern als kon­kre­te Zusa­ge. In den hei­li­gen Schrif­ten – den Schrif­ten des Alten Bun­des – ist es ver­wur­zelt. Die gan­ze Geschich­te Isra­els ist eine Geschich­te der Erwar­tung, des War­tens auf den Einen, der kom­men soll. Von der ersten Ver­hei­ßung im Gar­ten Eden (1.Mose 3,15) bis zu den letz­ten pro­phe­ti­schen Wor­ten Malea­chis zieht sich ein roter Faden: Gott wird ret­ten. Gott wird kom­men. Gott wird sein Volk erlö­sen.

Wenn Pau­lus vom „Evan­ge­li­um Got­tes“ spricht, dann meint er nicht nur die gute Nach­richt von Jesus Chri­stus, son­dern auch die lan­ge Geschich­te die­ser Nach­richt. Es ist das Evan­ge­li­um des Hei­lan­des Got­tes – des Ret­ters, den Gott selbst ver­hei­ßen hat. Nicht Men­schen haben ihn erfun­den, nicht Phi­lo­so­phen haben ihn erdacht. Gott hat ihn ange­kün­digt, Gott hat ihn gesandt, Gott hat ihn erhöht. In Lukas 2 begeg­nen wir Sime­on und Han­na, zwei alte Men­schen, die ihr Leben lang auf die Erfül­lung der Ver­hei­ßung gewar­tet haben. Sime­on war „ein gerech­ter und got­tes­fürch­ti­ger Mann, der auf den Trost Isra­els war­te­te“ (Lukas 2,25). Han­na „rede­te von ihm zu allen, die auf die Erlö­sung Jeru­sa­lems war­te­ten“ (Lukas 2,38). Sie ste­hen stell­ver­tre­tend für Gene­ra­tio­nen, die gehofft, geglaubt, gewar­tet haben. Und nun sehen sie mit eige­nen Augen, was Gott ver­hei­ßen hat. Das Evan­ge­li­um ist sicht­bar gewor­den. Die Ver­hei­ßung ist Fleisch gewor­den.

Jesus selbst sagt: „Vie­le Pro­phe­ten und Köni­ge woll­ten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gese­hen; und hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört“ (Lukas 10,24). Petrus schreibt, dass die Pro­phe­ten „geforscht und gesucht haben, auf wel­che Zeit und wel­che Umstän­de der Geist Chri­sti hin­wies“ (1.Petrus 1,10). Das Evan­ge­li­um war ihnen bekannt – aber nur in Schat­ten und Vor­bil­dern. Nun ist es offen­bar gewor­den. Das Evan­ge­li­um ist also kei­ne neue Reli­gi­on, kein System, das aus dem Nichts auf­taucht. Es ist die Erfül­lung der alten Ver­hei­ßung. Es ist das Licht, das auf die Schat­ten fällt. Es ist das Ja Got­tes zu all sei­nen Zusa­gen. „Denn so vie­le Ver­hei­ßun­gen Got­tes es gibt – in ihm ist das Ja“ (2.Korinther 1,20). Wer das Evan­ge­li­um ver­kün­det, ver­kün­det nicht etwas Frem­des, son­dern das, was Gott selbst durch die Zei­ten hin­durch vor­be­rei­tet hat. Wer Chri­stus pre­digt, steht in der Linie der Pro­phe­ten. Wer das Neue Testa­ment liest, liest die Erfül­lung des Alten. Die Bibel ist ein Buch der Ein­heit – von Gene­sis bis Offen­ba­rung eine Geschich­te der Gna­de, die in Chri­stus ihren Höhe­punkt fin­det.

So ist Römer 1,2 nicht nur ein Neben­satz. Es ist ein Schlüs­sel zur gan­zen Bibel. Das Evan­ge­li­um ist Got­tes Geschich­te. Und wir sind ein­ge­la­den, dar­in zu leben, zu glau­ben, zu hof­fen – und zu ver­kün­di­gen.

Wenn die Bibel von der „Hei­li­gen Schrift“ spricht, meint sie das Alte Testa­ment. Nicht als blo­ße Samm­lung reli­giö­ser Tex­te, son­dern als das leben­di­ge Wort Got­tes, durch das er selbst spricht. Pau­lus bezeugt: „Alle Schrift ist von Gott ein­ge­ge­ben“ (2.Timotheus 3,16). Petrus ergänzt: „Von Men­schen ist nie­mals eine Weis­sa­gung aus­ge­gan­gen, son­dern getrie­ben vom Hei­li­gen Geist haben Men­schen im Auf­trag Got­tes gere­det“ (2.Petrus 1,21). Die Hei­lig­keit der Schrift liegt nicht in ihrer lite­ra­ri­schen Qua­li­tät, son­dern in ihrer gött­li­chen Her­kunft. Sie ist hei­lig, weil Gott selbst in ihr redet.

Für die ersten Chri­sten war das Alte Testa­ment nicht ein Vor­läu­fer, son­dern die Bibel. Die Gemein­den leb­ten aus die­sen hei­li­gen Schrif­ten. Sie lasen Mose, die Pro­phe­ten, die Psal­men – und sie hör­ten dar­in die Stim­me Got­tes. Jesus selbst hat aus die­sen Schrif­ten gelebt, gebe­tet, gepre­digt. Er hat sie aus­ge­legt, erfüllt, bestä­tigt. Er sagt: „Ihr erforscht die Schrif­ten, weil ihr meint, in ihnen das ewi­ge Leben zu haben; und sie sind es, die von mir Zeug­nis geben“ (Johan­nes 5,39). Die Bibel Jesu war das Alte Testa­ment – und sie sprach von ihm. Erst im Licht der Chri­stus­ge­stalt wird das Alte Testa­ment rich­tig erkannt. Was vor­her ver­bor­gen war, wird offen­bar. Was in Bil­dern und Ver­hei­ßun­gen ange­kün­digt war, wird in Jesus erfüllt. Er ist der Schlüs­sel zur Schrift. Auf dem Weg nach Emma­us öff­net er den Jün­gern das Ver­ständ­nis: „Muss­te nicht der Chri­stus dies erlei­den und in sei­ne Herr­lich­keit ein­ge­hen?“ Und er „leg­te ihnen aus, was in allen Schrif­ten über ihn gesagt war“ (Lukas 24,26–27). Das Alte Testa­ment ist nicht über­holt – es ist erfüllt. Es bleibt leben­dig, weil es auf Chri­stus hin­weist.

Das Neue Testa­ment steht nicht neben dem Alten, son­dern auf ihm. Es ist gebaut auf dem Fun­da­ment der Pro­phe­ten und Apo­stel (Ephe­ser 2,20). Die Bezie­hung zwi­schen bei­den ist die von Ver­hei­ßung und Erfül­lung, von Saat und Frucht, von Ruf und Ant­wort.

In der Geschich­te der Kir­che gab es immer wie­der Men­schen, die das Alte Testa­ment für weni­ger wich­tig hiel­ten oder ganz ablehn­ten. Ein Bei­spiel dafür ist Mar­ci­on, der mein­te, das Alte Testa­ment pas­se nicht zu Jesus und des­halb nicht zu den Chri­sten. Doch die­ser Weg war ein gro­ßer Feh­ler. Wer das Alte Testa­ment ablehnt, ver­liert den Zusam­men­hang der gan­zen Bibel und gerät leicht in fal­sche Leh­ren. Denn das Alte Testa­ment gehört zum Wort Got­tes – es zeigt uns, wie Gott han­delt, spricht und ret­tet. Ohne die­se Grund­la­ge kann das Neue Testa­ment nicht rich­tig ver­stan­den wer­den.

Auch heu­te begeg­nen wir sub­ti­le­ren For­men die­ser Tren­nung: Wenn das Alte Testa­ment als „schwie­ri­ger“, „gewalt­tä­ti­ger“ oder „nicht mehr rele­vant“ dar­ge­stellt wird. Wenn Gemein­den sich nur noch auf neu­te­sta­ment­li­che Tex­te stüt­zen und die pro­phe­ti­sche Tie­fe des Alten Bun­des ver­lie­ren. Wenn Ideo­lo­gien das Evan­ge­li­um von sei­ner Wur­zel lösen und es zu einem ethi­schen System oder spi­ri­tu­el­len Coa­ching degra­die­ren.

Die Fol­ge ist geist­li­che Ver­ar­mung. Ohne das Alte Testa­ment ver­liert das Neue sei­ne Tie­fe, sei­ne Geschich­te, sei­ne Ver­an­ke­rung. Die Gemein­de wird geschichts­ver­ges­sen, die Pre­digt wird flach, die Chri­stus­ver­kün­di­gung wird abstrakt. Pau­lus selbst zeigt uns den ande­ren Weg: Der Römer­brief – das gro­ße Evan­ge­li­ums­schrei­ben – ist durch­zo­gen vom Alten Testa­ment. Etwa die Hälf­te sei­ner Ver­se sind Zita­te oder Anspie­lun­gen auf die hei­li­gen Schrif­ten Isra­els. Für Pau­lus ist das Alte Testa­ment nicht Hin­ter­grund­rau­schen, son­dern gött­li­che Auto­ri­tät.

Die heu­ti­ge Kir­che braucht eine Rück­kehr zur gan­zen Schrift. Nicht als Rück­fall in Gesetz­lich­keit, son­dern als Wie­der­ent­deckung der Tie­fe, Schön­heit und Ein­heit der Bibel. Die hei­li­gen Schrif­ten sind nicht alt, sie sind leben­dig. Sie sind nicht fremd, sie sind unser Erbe. Sie sind nicht über­holt, sie sind erfüllt. Wer Chri­stus liebt, wird auch Mose und die Pro­phe­ten lie­ben. Wer das Evan­ge­li­um ver­kün­det, wird es aus der Tie­fe der Ver­hei­ßung schöp­fen.

Die Gemein­de Jesu ist eine Gemein­de der Hei­li­gen Schrift – der gan­zen Hei­li­gen Schrift. Sie lebt aus dem Wort, das Gott gespro­chen hat, und aus dem Wort, das Fleisch gewor­den ist. Sie erkennt Chri­stus in den Psal­men, in Jesa­ja, in Hosea. Sie hört den Ruf Got­tes durch die Jahr­hun­der­te und ant­wor­tet mit Glau­ben, Gehor­sam und Hoff­nung. Die Hei­li­ge Schrift ist ihr Fun­da­ment – und Chri­stus ist ihr Mit­tel­punkt. Amen.