Jeremia 7,3–4: “So spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Macht gut eure Wege und eure Taten, dann will ich euch an diesem Ort wohnen lassen. Und verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN ist dies!”
Dieser Abschnitt aus dem Buch Jeremia ist ein Ruf zur Umkehr, ein Ruf zur Wahrheit, ein Ruf zur echten Gottesbeziehung. Es ist kein sanftes Wort, kein beruhigendes Lied, sondern eine prophetische Mahnung, die uns aufrütteln will. Jeremia spricht im Namen des HERRN der Heerscharen, des Gottes Israels, und seine Worte treffen mitten ins Herz einer religiösen Gesellschaft, die sich in falscher Sicherheit wiegt.
„Macht gut eure Wege und eure Taten, dann will ich euch an diesem Ort wohnen lassen.“ Was für eine Verheißung – aber auch was für eine Bedingung. Gott verspricht seine Gegenwart, sein Bleiben, sein Wohnen unter seinem Volk. Doch dieses Wohnen ist nicht automatisch, nicht garantiert durch äußere Formen oder religiöse Gebäude. Es ist gebunden an die Lebensführung, an die Gerechtigkeit, an das Tun des Guten. Der Tempel allein – so heilig er ist – reicht nicht aus, wenn das Leben der Menschen nicht mit Gottes Willen übereinstimmt.
Jeremia spricht in einer Zeit, in der das Volk Israel den Tempel in Jerusalem als Garant für Gottes Nähe verstand. „Der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN ist dies!“ – diese dreifache Wiederholung ist wie ein Mantra, ein religiöses Beruhigungsmittel. Man glaubte: Solange der Tempel steht, solange wir unsere Opfer bringen, solange wir unsere Rituale vollziehen, ist alles gut. Doch Gott durchschaut diese Selbsttäuschung. Er nennt es Lügenworte. Es sind Worte, die eine falsche Sicherheit vermitteln, die den Menschen vorgaukeln, sie seien in Ordnung, obwohl ihre Wege und Taten das Gegenteil zeigen.
Was bedeutet das für uns heute? Auch wir leben in einer Zeit, in der religiöse Formen leicht zur Fassade werden können. Der Kirchgang, das Gebet, das Kreuz an der Wand – all das kann Ausdruck echten Glaubens sein, aber es kann auch zur Gewohnheit werden, zur bloßen Tradition, zur äußeren Hülle ohne inneren Kern. Gott aber sieht das Herz. Er fragt nicht zuerst nach dem Gebäude, sondern nach dem Leben. Er fragt nicht nach dem Bekenntnis allein, sondern nach der Tat. „Macht gut eure Wege und eure Taten“ – das ist der Ruf, der auch uns gilt.
Der Tempel ist wichtig – als Ort der Sammlung, der Stille, der Ausrichtung. Aber er ist kein Selbstzweck. Er ist der Ausgangspunkt für ein Leben, das Gottes Willen widerspiegelt: ein Leben in Wahrheit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Denn Gott sucht nicht nur den Lobgesang, sondern das gerechte Herz.
Viele Christen heute leben in einer trügerischen Sicherheit. Sie nennen sich Gläubige, besuchen gelegentlich Gottesdienste, sprechen von Gnade und Erlösung – und doch bleibt ihr Herz unberührt, ihr Leben unverändert. Sie haben sich eingerichtet in einem Christentum der Gewohnheit, der Tradition, der äußeren Form. Aber wo ist die Leidenschaft für Christus? Wo ist das Feuer, das einst die ersten Jünger antrieb, alles zu verlassen, um dem Herrn zu folgen? Wir haben uns hinter theologischen Floskeln und kirchlichen Ritualen versteckt, während die Welt um uns herum nach Wahrheit hungert. Ein Christentum, das nicht gelebt wird, ist kein Christentum. Es ist eine leere Hülle, ein religiöses Echo ohne Kraft. Jesus hat nie dazu aufgerufen, sich bequem zurückzulehnen. Er rief: „Folge mir nach!“ – und das bedeutet Kreuz tragen, Opfer bringen, Licht sein in der Dunkelheit. Wenn unser Glaube uns nicht herausfordert, nicht verändert, nicht in Bewegung bringt, dann ist er nicht lebendig. Dann ist er tot. Es ist Zeit, aufzuwachen. Zeit, das bequeme Christsein abzulegen und sich neu von Gottes Geist erfassen zu lassen. Nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe. Nicht aus Gewohnheit, sondern aus Hingabe. Die Welt braucht keine Christen, die sich verstecken – sie braucht Christen, die aufstehen.
Gott will unter uns wohnen. Er will Gemeinschaft mit uns. Aber diese Gemeinschaft ist kein Automatismus. Sie ist ein Geschenk, das empfangen wird im Gehorsam, in der Umkehr, in der Wahrheit. Wenn wir unsere Wege prüfen, wenn wir unsere Taten ins Licht Gottes stellen, wenn wir bereit sind, uns verändern zu lassen – dann wird Gottes Gegenwart real, dann wird der Ort, an dem wir leben, zu einem Ort der Begegnung mit dem Heiligen.
Jeremia ruft nicht zur Verachtung des Tempels auf – im Gegenteil, er ruft zur Umkehr, zur Ehrfurcht, zur Erneuerung des Herzens. Er sieht, wie das Volk den Tempel als bloße Fassade benutzt, als religiöse Versicherung, während das Leben fern von Gottes Geboten geführt wird. Und genau hier liegt die Dringlichkeit seiner Botschaft: Der Tempel ist nicht ein Ort der Selbstberuhigung, sondern ein Ort der Begegnung mit dem lebendigen Gott. Er steht für Gottes Nähe, für Gottes Heiligkeit, für Gottes Anspruch an unser Leben. Wenn wir die Kirche nur noch als kulturellen Treffpunkt, als Bühne für Meinungen und Programme des Zeitgeistes verstehen, dann haben wir vergessen, was sie eigentlich ist: der Tempel Gottes, das Haus des Gebets, der Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren. Die Kirche darf nicht zur Markthalle werden, in der alles verhandelbar ist – Wahrheit, Gnade, Sünde, Erlösung. Sie ist kein Ort der Beliebigkeit, sondern der Heiligkeit. Und Heiligkeit bedeutet: ausgesondert, anders, durchdrungen von Gottes Gegenwart. Wenn wir das vergessen, verlieren wir nicht nur die Kirche – wir verlieren den Zugang zu dem, was uns wirklich trägt. Es ist Zeit, dass wir wieder mit Ehrfurcht eintreten, nicht mit Routine. Zeit, dass wir uns nicht fragen, was die Kirche für uns tun kann, sondern was wir Gott in seinem Tempel darbringen: unser Herz, unsere Hingabe, unser Leben. Denn wo Gott wohnt, da ist kein Platz für Oberflächlichkeit. Da ist Raum für Wahrheit, für Umkehr, für neues Leben.
Aber diese Ehrfurcht muss sich im Leben zeigen. Der Tempel ist kein Schutzschild gegen Gottes Gericht, wenn das Leben dem Willen Gottes widerspricht. Er ist vielmehr ein Ort der Erinnerung, ein Ort der Umkehr, ein Ort der Heiligung. Denn Gottes Gegenwart ist kein Besitz, den man sich durch äußere Zugehörigkeit sichern kann. Sie ist kein Automatismus, der durch religiöse Rituale aktiviert wird. Vielmehr ist sie eine heilige Gabe, die in einem Leben der Hingabe, der Gerechtigkeit und der Wahrheit Raum findet. Wenn der Mensch meint, er könne Gott durch fromme Worte oder äußere Formen beeindrucken, ohne dass sein Herz sich wandelt, dann täuscht er sich selbst. Der Tempel – damals wie heute – ist nicht ein Ort der bloßen Tradition, sondern ein Ort der Begegnung mit dem lebendigen Gott, der Heiligkeit fordert und Umkehr erwartet.
Die Geschichte Israels zeigt uns, dass Gott nicht davor zurückschreckt, selbst seinen heiligen Ort zu verlassen, wenn sein Volk sich von ihm abwendet. Der Tempel wurde zerstört, weil das Volk sich auf ihn verließ, aber Gottes Gebote missachtete. Das ist eine ernste Warnung für jede Generation: Die äußere Nähe zu Gott ersetzt nicht die innere Treue. Die Mauern eines Gotteshauses schützen nicht vor dem Gericht, wenn das Herz kalt und das Leben ungerecht ist. Gott sucht keine Kulthandlungen, sondern gerechte Wege. Er verlangt keine religiöse Fassade, sondern ein Leben, das seine Liebe widerspiegelt.
Deshalb ist die Botschaft Jeremias so aktuell: „Macht gut eure Wege und eure Taten.“ Es ist ein Ruf zur Umkehr, zur Erneuerung, zur echten Beziehung mit Gott. Wer sich auf den Tempel beruft, muss auch bereit sein, den Tempelgeist zu leben – den Geist der Heiligkeit, der Barmherzigkeit, der Wahrheit. Nur dann wird der Ort der Anbetung zu einem Ort der Gegenwart Gottes. Nur dann wird das Leben zum Tempel seines Geistes. Und nur dann wird Gottes Verheißung wahr: „Dann will ich euch an diesem Ort wohnen lassen.“
In unserer Zeit erleben wir eine besorgniserregende Entwicklung: Immer mehr geistliche Stimmen beugen sich dem Zeitgeist, statt sich unter das Kreuz Christi zu stellen. Sie verkünden ein Evangelium der Bequemlichkeit, das den Menschen schmeichelt, aber nicht zur Umkehr ruft. Es ist ein Evangelium ohne Buße, ohne Heiligung, ohne das Kreuz – ein Evangelium, das Christus zwar nennt, aber ihn nicht ehrt. Die Botschaft wird weichgespült, damit sie niemanden stört, niemanden herausfordert, niemanden zur Entscheidung drängt. Doch das wahre Evangelium ist kein Wohlfühlprogramm, sondern die rettende Kraft Gottes für jeden, der glaubt – und diese Kraft ist nicht billig.
Wenn Prediger beginnen, die Wahrheit zu relativieren, um Zustimmung zu gewinnen, dann wird das Wort Gottes zur Ware, und die Kanzel zum Marktplatz menschlicher Meinungen. Christus wird ersetzt durch moralische Allgemeinplätze, durch psychologische Ratschläge und durch eine Spiritualität, die sich gut anfühlt, aber keine Erlösung bringt. Die Heilige Schrift warnt uns eindringlich vor solchen Zeiten: „Denn es wird eine Zeit kommen, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen werden, sondern sich selbst Lehrer aufhäufen werden, nach ihren eigenen Begierden“ (2. Timotheus 4,3). Diese Zeit ist jetzt.
Seid wachsam gegenüber diesen trügerischen Worten! Lasst euch nicht verführen von diesen falschen Botschaften! Wir brauchen wieder Prediger, die das Wort Gottes lieben mehr als ihre eigene Popularität. Männer und Frauen, die nicht den Applaus suchen, sondern den Willen Gottes tun. Die nicht das Evangelium verändern, sondern sich selbst vom Evangelium verändern lassen. Die nicht den breiten Weg der Zustimmung gehen, sondern den schmalen Weg der Wahrheit. Denn nur die Wahrheit macht frei. Und nur das Evangelium, das Christus in seiner ganzen Herrlichkeit verkündet – als Retter und als Richter – führt zur echten Erneuerung. Möge Gott uns solche Stimmen schenken. Möge er unsere Herzen bewahren vor der Verführung eines leichten Evangeliums. Und möge Christus selbst wieder der Mittelpunkt jeder Predigt sein – nicht der Zeitgeist, sondern der Herr der Ewigkeit.
Lasst uns also nicht auf Lügenworte vertrauen. Lasst uns nicht in religiöser Selbstzufriedenheit verharren. Lasst uns unsere Wege und Taten prüfen – im Licht des Wortes Gottes, im Angesicht seiner Wahrheit. Denn dann – und nur dann – wird Gott unter uns wohnen. Dann wird unser Leben zum Tempel seines Geistes. Dann wird unsere Gemeinschaft zum Ort seiner Gegenwart. Amen.