Der Rosen­kranz: Ein Gebet auch für Luthe­ra­ner!

„Der Rosen­kranz ist unbi­blisch.“ So lau­tet ein oft gehör­tes Urteil – beson­ders in evan­ge­li­schen, bibel­treu­en- und evan­ge­li­ka­len Krei­sen. Doch wer genau hin­sieht, erkennt: Die­se Behaup­tung hält dem Licht der Hei­li­gen Schrift nicht stand. Der Rosen­kranz ist kein katho­li­sches Son­der­gut, son­dern ein medi­ta­ti­ves Gebet, das tief im Evan­ge­li­um wur­zelt. Er ist ein Weg, das Leben Jesu zu betrach­ten, das Wort Got­tes zu ver­in­ner­li­chen und das Herz in Chri­stus zu ver­an­kern. Auch für luthe­ri­sche Chri­sten, die das sola scrip­tu­ra ernst neh­men, ist der Rosen­kranz ein Schatz – und kein Fremd­kör­per.

Das Rosen­kranz­ge­bet ist zwar nicht direkt als Gebets­form in der Bibel über­lie­fert, aber sei­ne Inhal­te und Medi­ta­ti­ons­the­men sind tief in der Hei­li­gen Schrift ver­wur­zelt. Hier sind zen­tra­le bibli­sche Bezü­ge zu den ein­zel­nen Geheim­nis­sen des Rosen­kran­zes:

Freu­den­rei­cher Rosen­kranz

  1. Ver­kün­di­gung des Herrn – Lukas 1,26–38: Der Engel Gabri­el kün­digt Maria die Geburt Jesu an.
  2. Heim­su­chung Mari­as – Lukas 1,39–56: Maria besucht Eli­sa­beth, die das Kind in ihrem Leib hüp­fen spürt.
  3. Geburt Jesu – Lukas 2,1–20: Jesus wird in Beth­le­hem gebo­ren.
  4. Dar­stel­lung Jesu im Tem­pel – Lukas 2,22–38: Sime­on erkennt das Kind als Licht für die Hei­den.
  5. Wie­der­fin­den Jesu im Tem­pel – Lukas 2,41–52: Der zwölf­jäh­ri­ge Jesus dis­ku­tiert mit den Leh­rern.

Schmerz­rei­cher Rosen­kranz

  1. Gebet Jesu am Ölberg – Lukas 22,39–46: Jesus ringt mit dem bevor­ste­hen­den Lei­den.
  2. Gei­ße­lung Jesu – Johan­nes 19,1: Jesus wird von Pila­tus gegei­ßelt.
  3. Dor­nen­krö­nung – Mat­thä­us 27,27–31: Sol­da­ten set­zen Jesus eine Dor­nen­kro­ne auf.
  4. Kreuz­tra­gung – Lukas 23,26–32: Simon von Kyre­ne hilft Jesus das Kreuz tra­gen.
  5. Kreu­zi­gung und Tod Jesu – Lukas 23,33–49: Jesus stirbt am Kreuz.

Glor­rei­cher Rosen­kranz

  1. Auf­er­ste­hung Jesu – Mat­thä­us 28,1–10: Der Engel ver­kün­det: „Er ist auf­er­stan­den!“
  2. Him­mel­fahrt Jesu – Apo­stel­ge­schich­te 1,6–11: Jesus wird vor den Augen der Jün­ger in den Him­mel auf­ge­nom­men.
  3. Her­ab­kunft des Hei­li­gen Gei­stes – Apo­stel­ge­schich­te 2,1–13: Pfing­sten – der Geist erfüllt die Apo­stel.
  4. Auf­nah­me Mari­ens in den Him­mel – nicht direkt biblisch, aber aus Offen­ba­rung 12 und kirch­li­cher Tra­di­ti­on abge­lei­tet.
  5. Krö­nung Mari­ens im Him­mel – eben­falls tra­di­tio­nell, mit Bezug auf Offen­ba­rung 12,1: „Eine Frau, mit der Son­ne beklei­det…“

Licht­rei­cher Rosen­kranz (von Johan­nes Paul II. ein­ge­führt)

  1. Tau­fe Jesu im Jor­dan – Mat­thä­us 3,13–17
  2. Hoch­zeit zu Kana – Johan­nes 2,1–12
  3. Ver­kün­di­gung des Rei­ches Got­tes – Mar­kus 1,14–15
  4. Ver­klä­rung Jesu – Mat­thä­us 17,1–9
  5. Ein­set­zung der Eucha­ri­stie – Lukas 22,14–20

Der Rosen­kranz beginnt mit dem Kreuz – dem Zei­chen der Erlö­sung. Dann folgt das Vater­un­ser, das Gebet, das Chri­stus selbst gelehrt hat (Mat­thä­us 6,9–13). Es ist das Herz­stück jeder christ­li­chen Spi­ri­tua­li­tät – auch der luthe­ri­schen. Das Ave Maria besteht aus zwei direk­ten Bibel­zi­ta­ten: „Gegrü­ßet seist du, Maria, voll der Gna­de, der Herr ist mit dir“ (Lukas 1,28) und „Geseg­net bist du unter den Frau­en, und geseg­net ist die Frucht dei­nes Lei­bes“ (Lukas 1,42). Wer das Ave Maria betet, spricht mit den Wor­ten des Engels Gabri­el und der hei­li­gen Eli­sa­beth – Wor­te, die die Mensch­wer­dung Got­tes fei­ern.

Der Rosen­kranz ist kein maria­ni­sches Man­tra, son­dern eine Per­len­ket­te der Evan­ge­li­ums­be­trach­tung. Die „Geheim­nis­se“ sind Sta­tio­nen aus dem Leben Jesu: sei­ne Geburt, Tau­fe, Ver­kün­di­gung, Kreu­zi­gung, Auf­er­ste­hung, Him­mel­fahrt. Jeder Abschnitt lädt ein zur medi­ta­ti­ven Betrach­tung – nicht zur blo­ßen Wie­der­ho­lung, son­dern zur geist­li­chen Ver­tie­fung. Luther selbst emp­fahl die Betrach­tung der Pas­si­on Chri­sti als täg­li­che Übung. Der Rosen­kranz tut genau das – in rhyth­mi­scher Form, mit bibli­scher Tie­fe.

Luther ver­ehr­te Maria als „Mut­ter Got­tes“ und „Vor­bild des Glau­bens“. Er schrieb: „Maria will nicht, dass man zu ihr kommt, son­dern durch sie zu Chri­stus.“ Genau das tut der Rosen­kranz. Er stellt Maria nicht neben Chri­stus, son­dern zeigt sie als erste Höre­rin des Wor­tes, als demü­ti­ge Magd, die spricht: „Mir gesche­he, wie du gesagt hast“ (Lukas 1,38).

Luthe­risch beten – mit dem Rosen­kranz? War­um also nicht? Luthe­ra­ner, die den Rosen­kranz beten, tun nichts ande­res als das Evan­ge­li­um medi­tie­ren. Sie beten das Vater­un­ser, betrach­ten das Leben Jesu, ver­in­ner­li­chen das Wort Got­tes. Der Rosen­kranz ist kei­ne katho­li­sche Schran­ke, son­dern eine Brücke – zwi­schen Schrift und Herz, zwi­schen Betrach­tung und Gebet. Er ist kein Ersatz für das Bibellesen, son­dern eine Ver­tie­fung. Kein Wider­spruch zum luthe­ri­schen Glau­ben, son­dern eine Berei­che­rung.

Ein Gebet für Chri­stus­lie­ben­de – kon­fes­si­ons­über­grei­fend: Der Rosen­kranz ist ein­fach. Tief. Biblisch. Er ver­bin­det Wort und Stil­le, Wie­der­ho­lung und Betrach­tung, Herz und Ver­stand. Er ist ein Gebet für den All­tag, für die Nacht, für die geist­li­che Rei­fung. Wer ihn betet, ver­weilt bei Chri­stus. Wer ihn liebt, liebt das Evan­ge­li­um. Es ist Zeit, alte Vor­ur­tei­le abzu­le­gen und neu zu ent­decken, was Gene­ra­tio­nen von Chri­sten getra­gen hat: Ein Gebet, das das Herz mit dem Him­mel ver­bin­det. Nicht mari­en­zen­triert, son­dern Chri­stus­zen­triert. Nicht unbi­blisch, son­dern durch und durch vom Wort Got­tes durch­drun­gen.

Es ist Zeit, Klar­text zu reden.

Der Rosen­kranz ist kein maria­ni­sches Göt­zen­ge­bet. Er ist kein katho­li­sches Irr­tums­kon­strukt. Er ist ein Chri­stus­ge­bet – durch und durch. Wer den Rosen­kranz betet, betrach­tet das Leben Jesu, medi­tiert das Evan­ge­li­um, spricht das Vater­un­ser, wie­der­holt die Wor­te der Schrift. Maria wird nicht ange­be­tet. Sie wird nicht als Mitt­le­rin ver­ehrt. Sie wird als Glau­bens­zeu­gin erin­nert – als jene, die auf Chri­stus ver­weist: „Was er euch sagt, das tut“ (Johan­nes 2,5).

Wer ande­res behaup­tet, hat den Rosen­kranz nie wirk­lich gebe­tet – oder will ihn nicht ver­ste­hen. Vie­le leh­nen den Rosen­kranz ab. Man­che aus Unwis­sen­heit. Sie ken­nen ihn nicht, haben ihn nie betrach­tet, nie mit offe­nem Her­zen geprüft. Ande­re leh­nen ihn aus Stolz ab – aus kon­fes­sio­nel­ler Abgren­zung, aus geist­li­cher Arro­ganz, aus einer Hal­tung, die nicht vom Geist Chri­sti kommt. Und ja: Es gibt auch Bos­heit. Eine Ableh­nung, die nicht nur den Rosen­kranz trifft, son­dern die katho­li­sche Kir­che ver­ach­tet, die Chri­sten dif­fa­miert, die anders beten, anders glau­ben, anders lie­ben. Das ist nicht der Geist des Evan­ge­li­ums. Das ist nicht der Geist der Ein­heit. Das ist nicht der Geist Jesu.

Wer den Rosen­kranz ver­ach­tet, ver­ach­tet oft auch jene, die ihn beten – stil­le Beter, ein­fa­che Gläu­bi­ge, Müt­ter, Väter, Kin­der, Prie­ster, Ordens­leu­te, evan­ge­li­sche Chri­sten, die Chri­stus im Rosen­kranz ent­decken. Die­se Ver­ach­tung ist Sün­de. Sie trennt. Sie ver­letzt. Sie spal­tet den Leib Chri­sti.

Es ist Zeit zur Umkehr. Zeit, das Herz zu öff­nen. Zeit, das Gebet der Kir­che nicht zu ver­ach­ten, son­dern zu prü­fen – mit der Schrift, mit dem Geist, mit der Lie­be. Der Rosen­kranz ist kein Fremd­kör­per. Er ist ein Werk­zeug der Betrach­tung, der Ver­tie­fung, der Chri­stus­lie­be. Wer ihn betet, betet mit der Bibel. Wer ihn liebt, liebt den Herrn. So lasst uns auf­hö­ren, ein­an­der zu ver­ur­tei­len. Lasst uns begin­nen, ein­an­der zu ver­ste­hen.

Lasst uns gemein­sam Chri­stus suchen – in der Hei­li­gen Schrift, im Gebet und in der voll­ende­ten Lie­be. Der Rosen­kranz bie­tet uns hier­bei eine wert­vol­le Unter­stüt­zung. Nicht als eine lästi­ge Pflicht oder als ein star­res Dog­ma, son­dern als eine ein­la­den­de Geste. Er ist ein Per­len­weg, der uns durch das Evan­ge­li­um führt. Ein stil­les Gebet, das unser Herz mit den himm­li­schen Sphä­ren ver­bin­det und uns in eine tie­fe­re Gemein­schaft mit unse­rem Schöp­fer ein­lädt. Amen.

Ich wider­ru­fe nichts, es sei denn, man über­füh­re mich durch kla­re Zeug­nis­se der Hei­li­gen Schrift. Denn allein sie ist Rich­te­rin mei­nes Gewis­sens und mei­nes Wor­tes. Amen.

BERNHARD BECK