Römer 1,1: “Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert zu predigen das Evangelium Gottes…”
Wenn Paulus diesen Brief beginnt, tut er es nicht mit einem belanglosen Gruß. Nein, jeder Begriff ist geladen mit Bedeutung, jeder Ausdruck ein Echo seines Lebensweges. Und wenn wir genau hinhören, entdecken wir darin nicht nur seine Berufung – sondern auch unsere eigene.
Paulus nennt sich zuerst „ein Knecht Christi Jesu“. Das griechische Wort „doulos“ bedeutet nicht einfach „Diener“, sondern „Sklave“ – jemand, der vollkommen seinem Herrn gehört. In einer Welt, die Freiheit über alles stellt, ist das eine radikale Aussage. Paulus definiert sich nicht über seine Herkunft, seine Bildung oder seine Leistungen. Er definiert sich über seine Zugehörigkeit zu Christus. Was wäre, wenn auch wir unsere Identität zuerst in Christus suchten? Nicht in Likes, Lebensläufen oder Labels – sondern in der Tatsache, dass wir erkauft sind, geliebt sind, gesandt sind. Paulus zeigt: Die wahre Freiheit liegt in der völligen Hingabe.
Paulus war nicht auf der Suche nach Jesus. Er war auf dem Weg, Christen zu verfolgen. Und doch – mitten auf der Straße nach Damaskus – unterbricht Gott sein Leben mit einem Ruf, der alles verändert. „Berufen zum Apostel“ heißt: Gott spricht, und der Mensch antwortet. Nicht aus eigener Kraft, sondern aus Gnade. Auch heute ruft Gott. Vielleicht nicht mit einem Licht vom Himmel, aber mit einer leisen Stimme im Herzen. Vielleicht ruft er dich, deine Komfortzone zu verlassen. Vielleicht ruft er dich, zu vergeben, zu lieben, zu dienen. Berufung ist kein Privileg für die „Großen“ – sie ist Gottes Einladung an jeden von uns.
„Ausgesondert“ – das klingt nach Trennung, nach Absonderung. Und ja, Paulus wurde herausgerufen aus seinem alten Leben, um ganz für das Evangelium zu leben. Das Evangelium war nicht ein Teil seines Lebens – es war sein Leben. Die gute Nachricht von Jesus war sein Antrieb, sein Ziel, sein Herzschlag. Was ist dein Fokus? Was bestimmt deine Entscheidungen, deine Träume, deine Zeit? Paulus erinnert uns: Das Evangelium ist nicht nur eine Botschaft – es ist eine Lebensweise. Ausgesondert zu sein bedeutet, sich ganz auf das zu konzentrieren, was ewig zählt.
Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ein Mensch berufen wird – oder sich selbst erhebt. Paulus beginnt seinen Brief mit einer demütigen, aber kraftvollen Selbstbeschreibung: Knecht, Berufener, Ausgesonderter. Kein Titel, keine Selbsterhöhung, kein Anspruch auf Macht. Und doch – heute erleben wir eine Bewegung, die sich Apostel nennt, sich selbst sendet, sich selbst salbt, sich selbst erhebt. Es ist Zeit für eine geistliche Klärung. Paulus wurde nicht Apostel, weil er es wollte. Er wurde Apostel, weil Christus ihn rief. Die Berufung zum Apostel ist kein Karriereschritt, kein geistlicher Aufstieg, kein Titel für die Visitenkarte. Sie ist ein Ruf aus dem Himmel, ein Auftrag mit Blut besiegelt, ein Dienst unter Tränen und Verfolgung. Heute aber sehen wir, wie manche sich selbst zum Apostel erklären, Männer wie Frauen. Sie beanspruchen Autorität, lehren ohne Sendung, ermahnen ohne Demut, leiten Gemeinden ohne Kreuz. Doch wer sich selbst erhebt, wird erniedrigt werden. Denn der wahre Apostel trägt die Narben Christi – nicht die Insignien menschlicher Macht.
Ein Apostel ist ein Gesandter. Das griechische „apostolos“ bedeutet: „der Gesandte“. Aber wer sendet dich? Wer hat dich beauftragt? Wer hat dich ausgesondert? Paulus konnte sagen: „Nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater“ (Galater 1,1). Wenn heute jemand sagt: „Ich bin Apostel“, muss die erste Frage lauten: „Wer hat dich gesandt?“ Wenn die Antwort nicht Christus ist – durch klare Berufung, durch Bestätigung im Leib Christi, durch Frucht, durch Demut – dann ist es keine apostolische Autorität, sondern geistlicher Hochmut.
„Denn du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts; und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.“ (Offenbarung 3,17) Es ist eine der gefährlichsten Täuschungen im geistlichen Leben: der Hochmut, der sich als Frömmigkeit tarnt. Er schleicht sich nicht durch offene Rebellion ein, sondern durch scheinbare Nähe zu Gott. Er kleidet sich in Bibelverse, in Lobpreis, in Leiterschaft – und bleibt doch blind für das eigene Herz. Geistlicher Hochmut ist nicht laut. Er ist leise. Und gerade deshalb so zerstörerisch.
Viele Christen kennen die Schrift. Sie können lehren, ermahnen, diskutieren. Sie wissen, was richtig ist – und doch fehlt ihnen das Erkennen ihrer eigenen Zerbrochenheit. Wie die Gemeinde in Laodizea glauben sie, alles zu haben. Aber Christus sieht tiefer. Er sieht die Armut hinter der Fassade, die Blindheit hinter der Bildung, die Nacktheit hinter dem geistlichen Anzug.
Geistlicher Hochmut beginnt dort, wo wir glauben, nichts mehr lernen zu müssen. Wo wir uns über andere erheben, statt uns unter Christus zu beugen. Wo wir Kritik als Angriff sehen, statt als Gnade. Wo wir uns selbst für geistlich halten – und dabei die Stimme des Geistes überhören.
Das Tragische am geistlichen Hochmut ist: Er erkennt sich selbst nicht. Wer davon betroffen ist, wird es meist abstreiten. „Ich bin doch nur klar in der Lehre.“ „Ich verteidige die Wahrheit.“ „Ich bin einfach leidenschaftlich.“ Doch oft ist es nicht Leidenschaft – sondern Stolz. Nicht Klarheit – sondern Härte. Nicht Wahrheit – sondern Selbstrechtfertigung.
Jesus sagte: „Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen – und siehe, ein Balken ist in deinem Auge?“ (Matthäus 7,4). Geistlicher Hochmut sieht den Splitter beim anderen – und übersieht den Balken im eigenen Herzen.
Was ist die Antwort auf geistlichen Hochmut? Nicht mehr Wissen. Nicht mehr Aktivismus. Sondern Demut. Die Demut, sich prüfen zu lassen. Die Demut, sich korrigieren zu lassen. Die Demut, sich selbst nicht als Maßstab zu sehen, sondern Christus.
David betete: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine“ (Psalm 139,23). Das ist der Weg zurück. Nicht Selbstsicherheit, sondern Selbsterkenntnis. Nicht Rechthaberei, sondern Reue. Nicht Stolz, sondern das Kreuz.
Geistlicher Hochmut ist die Krankheit derer, die Gott nahe sind – aber sich selbst zu wichtig nehmen. Es ist die Blindheit, die sich für Sehen hält. Die Armut, die sich für Reichtum hält. Die Nacktheit, die sich für bekleidet hält. Doch Christus ruft: „Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.“ (Offenbarung 3,18). Es ist Zeit, uns salben zu lassen. Zeit, neu zu sehen. Zeit, zu bekennen: „Herr, ich bin blind – öffne meine Augen.“
Jesus selbst warnte: „Viele werden kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin’s, und sie werden viele verführen“ (Markus 13,6). Die Gemeinde muss wachsam sein. Nicht jeder, der laut spricht, ist gesandt. Nicht jeder, der lehrt, ist berufen. Nicht jeder, der ermahnt, hat Vollmacht. Die Früchte eines echten Apostels sind nicht Macht, Einfluss , Anhängerschaft, Manipulation, Missbrauch, sondern Demut, Wahrheit, Leidensbereitschaft und Treue zum Evangelium. Paulus wurde nicht gefeiert – er wurde verfolgt. Er baute keine Imperien – er baute Gemeinden. Er sammelte keine Titel – er trug das Kreuz.
Die Gemeinde Jesu braucht keine selbsternannten Apostel. Sie braucht Männer und Frauen, die sich beugen, bevor sie sprechen. Die dienen, bevor sie leiten. Die hören, bevor sie lehren. Die sich von Christus rufen lassen – und nicht von ihrer eigenen Sehnsucht nach Bedeutung.
Wenn du dich berufen fühlst – frage Christus. Wenn du lehren willst – lerne zuerst. Wenn du ermahnen willst – liebe zuerst. Wenn du leiten willst – diene zuerst. Denn der wahre Apostel beginnt als Knecht. Und bleibt es bis zum Ende.
„Der Herr hat zu mir gesprochen“ – Oder doch nicht? „Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind.“ (1. Johannes 4,1). In einer Zeit, in der viele Christen nach geistlicher Führung suchen, ist eine Stimme oft alles, was sie brauchen, um zu handeln. „Der Herr hat zu mir gesprochen“, sagen sie. „Der Geist hat mich geleitet.“ Doch was, wenn es nicht der Herr war? Was, wenn die Stimme, die sie hörten, nicht aus dem Himmel kam – sondern aus dem eigenen Herzen? Oder schlimmer noch: aus der Finsternis, die sich als Licht verkleidet?
Denn nicht jede Stimme ist göttlich – Die Täuschung des Herzens: Die Bibel warnt uns: „Überaus trügerisch ist das Herz, und bösartig; wer kann es ergründen?“ (Jeremia 17,9). Das bedeutet: Unsere inneren Stimmen, Gefühle, Eindrücke – sie sind nicht automatisch heilig. Sie können täuschen. Sie können manipulieren. Sie können uns in die Irre führen, während wir glauben, Gott zu folgen. Nichts ist so abgründig wie das menschliche Herz. Voll Unheil ist es; wer kann es durchschauen? Viele Christen verwechseln ihre eigenen Wünsche mit Gottes Willen. Sie hören, was sie hören wollen. Sie fühlen, was sie sich ersehnen. Und sie nennen es „Geistleitung“. Doch der Geist Gottes widerspricht nie dem Wort Gottes. Und er führt nie in Stolz, Spaltung oder Selbstverherrlichung.
Denn der Teufel kleidet sich nicht in Dunkelheit, sondern in Licht – nicht um zu erschrecken, sondern um zu täuschen, denn seine größte List ist es, wie Christus zu erscheinen, während er das Herz vom Kreuz entfernt. Paulus schreibt: „Denn der Satan selbst verkleidet sich als Engel des Lichts.“ (2. Korinther 11,14). Das ist keine Metapher. Es ist Realität. Es ist die Wahrheit. Der Feind spricht religiös. Er zitiert Bibelverse. Er flüstert geistlich klingende Gedanken. Er kleidet sich in das Gewand der Frömmigkeit – und führt doch ins Verderben. Wer glaubt, immun gegen Täuschung zu sein, ist bereits getäuscht. Der Teufel liebt es, wenn Christen sich auf ihre „Stimme“ verlassen, statt auf die Heilige Schrift. Er liebt es, wenn sie sich selbst zum Maßstab machen. Er liebt es, wenn sie sagen: „Ich habe gehört“ – und dabei nicht prüfen, ob das Gehörte mit dem Wort Gottes übereinstimmt.
Die Bibel ruft uns auf: „Prüft alles, das Gute behaltet.“ (1. Thessalonicher 5,21). Das bedeutet: Nicht jede Offenbarung ist von Gott. Nicht jede Eingebung ist heilig. Nicht jede Vision ist Wahrheit. Wir müssen prüfen – mit der Heiligen Schrift, im Gebet, im geistlichen Austausch. Wenn du eine Stimme hörst, frage: Führt sie zu Demut oder zu Stolz? Zu Christus oder zu dir selbst? Zur Wahrheit oder zur Verwirrung? Wenn sie dich über andere erhebt, dich unbelehrbar macht, dich von der Gemeinde trennt – dann ist sie nicht von Gott.
Gott spricht. Ja, er spricht heute noch. Durch seinen Geist, durch sein Wort, durch Menschen, durch Umstände. Aber er spricht nicht chaotisch. Nicht widersprüchlich. Nicht egozentriert. Seine Stimme ist klar, heilig, demütig, liebevoll – und immer im Einklang mit der Bibel. Wenn du sagst: „Der Herr hat zu mir gesprochen“ – dann sei bereit, dich prüfen zu lassen. Sei bereit, dich korrigieren zu lassen. Sei bereit, zu erkennen: Vielleicht war es nicht der Herr. Vielleicht war es deine eigene Stimme. Vielleicht war es der Feind. Denn der Narr glaubt jeder Stimme. Der Weise prüft sie.
In einer Zeit, in der geistliche Titel inflationär gebraucht werden und die Bühne oft wichtiger scheint als das Kreuz, ruft uns Paulus zurück zur Essenz: Berufung ist kein Prestige – sie ist Sendung. Und Sendung bedeutet: Dienen, nicht herrschen. Verkündigen, nicht manipulieren. Christus erhöhen, nicht sich selbst.
Berufung ist kein Selbstzweck – sie ist Gottes souveräne Auswahl! „Wen Gott aussondert, den sendet er aus.“ Das ist kein menschlicher Akt, keine Bewerbung, keine Selbsternennung. Es ist Gottes souveräne Entscheidung. Paulus wurde nicht Apostel, weil er sich dafür qualifiziert fühlte – sondern weil Christus ihn auf der Straße nach Damaskus unterbrach, zerbrach und neu formte. Heute sehen wir, wie manche das Evangelium nutzen, um sich selbst zu bestätigen. Um Einfluss zu gewinnen. Um Ansehen zu erlangen. Doch das Evangelium ist kein Werkzeug für Selbstverwirklichung – es ist Gottes Kraft zur Rettung. Wer es missbraucht, stellt sich nicht über Menschen – sondern über Gott und das ist geistlicher Hochmut!
„Das Evangelium Gottes“ – so nennt Paulus es. Nicht „mein Evangelium“, nicht „unsere Botschaft“, sondern Gottes Evangelium. Das bedeutet: Wir haben kein Recht, es zu verändern, zu verwässern oder zu instrumentalisieren. Es ist heilig. Es ist göttlich. Es ist unantastbar. Geistlicher Missbrauch beginnt dort, wo Menschen sich über das Evangelium stellen. Wo sie es benutzen, um zu kontrollieren, zu manipulieren, zu herrschen. Doch das Evangelium ist kein Machtmittel – es ist ein Kraftwort, das Leben schafft, Sünder rettet und Christus offenbart.
Jesus bringt nicht nur eine frohe Botschaft – er ist die frohe Botschaft. Das Evangelium ist keine Theorie, keine Lehre, kein System. Es ist eine Person. Es ist der gekreuzigte und auferstandene Christus. Wer das Evangelium verkündigt, muss Christus verkündigen – nicht sich selbst, nicht seine Vision, nicht seine Meinung. „Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er sei der Herr; wir aber eure Knechte um Jesu willen“ (2. Korinther 4,5). Das ist der Maßstab. Wir sind Knechte. Sklaven. Diener. Nicht Herren über die Gemeinde. Nicht Richter über die Herzen. Nicht Autoren einer neuen Botschaft. Wir sind unter dem Wort – nicht über dem Wort.
Die Berufung zur Verkündigung ist heilig. Sie ist kein Spiel. Kein Auftritt. Kein Mittel zur Selbstbestätigung. Sie ist ein Ruf zum Kreuz. Ein Ruf zur Demut. Ein Ruf zur Treue gegenüber dem Wort Gottes. Lasst uns aufhören, unser eigenes Evangelium zu bringen. Lasst uns Christus verkündigen – den Gekreuzigten, den Auferstandenen, den Retter. Lasst uns Diener sein – nicht Herrscher. Lasst uns unter dem Wort stehen – nicht darüber. Denn nur dort, wo Christus das Zentrum ist, wird das Evangelium zur rettenden Kraft. Amen.